Welche Konsequenzen ergeben sich aus dem NSA-Abhörskandal auf die Webanalyse-Branche im deutschsprachigen Raum? Ich sprach mit Frank Piotraschke, Country Manager DACH bei AT Internet.
Hat Sie persönlich das Ausmaß überrascht, mit dem die NSA offenbar europäische Nutzungs- und Verbindungsdaten sammelt und analysiert?
Frank Piotraschke: Persönlich war ich nicht sehr überrascht. Seit dem Patriot Act, der nach den Anschlägen vom 11. September verabschiedet wurde, ist klar, dass US-amerikanische Sicherheitsbehörden hohes Interesse an persönlichen Daten haben. Der Patriot Act ermächtigt das FBI und andere US-Behörden, auf Grundlage eines sogenannten “National Security Letters” (NSL) ohne richterlichen Beschluss auf Daten von Internet-, Telefon- oder Finanzdienstleistern zuzugreifen. Ein weiteres Beispiel ist die Vereinbarung mit der Bundesregierung zur Übermittlung von persönlichen Daten von Flugpassagieren, die in die USA reisen. Die Regelungen des Patriot Act ermöglichen meines Wissens sogar, weit mehr Daten zu sammeln, als jetzt im Zusammenhang mit der Prism-Affäre bekannt wurde.
Was mich viel mehr überrascht ist, dass dies im öffentlichen Bewusstsein so wenig präsent war. In vielen Gesprächen mit Unternehmen und Kunden weisen wir immer wieder auf die Datenschutzprobleme im Zusammenhang mit dem Patriot Act hin. Und wurden immer ein wenig als „Verschwörungstheoretiker“ belächelt. Es braucht anscheinend eine James-Bond-artige Geschichte mit einem Whistleblower um die gewünschte Aufmerksamkeit zu erzielen und die Probleme in die Köpfe der Leute zu bekommen.
Welche Auswirkungen wird der Skandal Ihrer Meinung nach auf die Nutzung von Diensten amerikanischer Unternehmen haben – etwa Google oder Facebook?
Frank Piotraschke: Ich bin kein Romantiker, und vor allem kein Freund davon, die amerikanischen Anbieter einseitig an den Pranger zu stellen. In öffentlichen Diskussionen wird gerne und vehement zum Thema Datenschutz debattiert. Im persönlichen Verhalten dies eher selten umgesetzt. Dienste wie Google und Facebook stellen einen erheblichen Mehrwert für die Nutzer dar, sonst wären sie nicht so erfolgreich. Im Internet sind die Einstiegshürden für Wettbewerber gering, es hätte längst zur Verdrängung geführt wenn die Nutzer diese Dienste nicht mehr haben wollten. Ich glaube allerdings, dass Unternehmen, zum Beispiel jene, die Webanalyse betreiben wollen, die spezifischen nationalen Regelungen und nationalen Befindlichkeiten zum Thema Datenschutz klarer sein sollten. Und dass diese sich auf ihre Strategie auswirken sollten. Man muss versuchen, ein positives Bewusstsein zu schaffen und der Dynamik entgegenwirken, dass Datenschützer mit berechtigten Zweifeln einfach nur als Zukunftsverweigerer da stehen.
Müssen auch Unternehmen möglicherweise umdenken, die amerikanische Webanalyse-Software einsetzen?
Frank Piotraschke: Solange wir hier für den Datenschutz zwar Vorgaben durch die Datenschutzaufsichtsbehörden, aber keine bindenden Richtlinien haben, die mit Kompetenz unterlegt sind, ist kurzfristig nicht mit rechtlichen Konsequenzen zu rechnen. Da funktioniert das gute alte „wo kein Kläger, da kein Richter“-Prinzip. Allerdings eröffnet das Thema für Unternehmen die Möglichkeit, sich aktiv und im Sinne der Nutzer für den Datenschutz zu positionieren. Es birgt die Chance auf eine gewisse Öffentlichkeit, im Sinne von „seht her, wir setzen auf datensichere Technologie“. Man sieht in vielen e-commerce shops das „trusted shops“ Logo, und wenn man Usability-Studien glaubt, schafft es mehr Vertrauen zwischen Kunden und Anbieter. Ich denke so etwas wäre auch für die Webanalyse möglich. Ich denke zum Beispiel sinngemäß an Slogan wie „Bei uns sind Ihre Daten sicher“.
Ist dieser Abhörskandal letztlich sogar eine große Chance für europäische IT-Unternehmen?
Frank Piotraschke: Ich denke schon. Zunächst einmal natürlich für den nationalen Markt. Aber europäische IT-Unternehmen sind mittlerweile sehr gut aufgestellt und können auch den internationalen Wettbewerb der besten Technologien bestehen. Dennoch kann man sich schon mal etwas erschlagen fühlen, ob des großen Wettbewerbs aus den USA. Wenn man allerdings als europäischer Anbieter für Kunden arbeitet, die Datenschutz-compliance einfordern, hat man den amerikanischen Unternehmen etwas voraus, denn diese müssen oder können diese Auflagen oft nicht berücksichtigen. Sollte der „Skandal“ zu mehr Chancengleichheit unter den Wettbewerbern führen, weil die Kunden verstehen, warum wir uns so um Datenschutz bemühen, dann ist dies eine große Chance. Was die Märkte in Russland, Brasilien oder Asien angeht, hatten europäische Anbieter im Vergleich zu amerikanischen Unternehmen auch schon vor dem Abhörskandal keine Wettbewerbsnachteile. Was aber mehr an dem guten Ruf in Sachen Technik liegt, als an der Datenschutzproblematik. Nach dem „Skandal“ wird sich diese Position aber sicherlich noch verbessern.
Vielen Dank für das Gespräch!