Der Versandriese Amazon bietet sein Fulfillment-Programm auch Händlern an, die ihre Waren nicht (nur) über Amazon.de verkaufen. Grund genug, sich das Angebot einmal genauer anzuschauen. Für wen lohnt es, wer sollte die Finger davon lassen?
Eigentlich ist das Verkaufen übers Internet relativ simpel. Man erstellt einen eigenen Onlineshop, kümmert sich um das Online-Marketing, lässt sich Waren anliefern, verpackt sie bei einer Bestellung, legt eine Rechnung und einen Lieferschein bei, verschickt sie, überprüft anschließend noch die Zahlungseingänge und macht einen Haken, um die Transaktion abzuschließen. Gibt es Probleme mit der Zahlung, schreibt man Erinnerungen und Mahnungen.
Verkaufen über das Internet geht aber auch anders: Streichen Sie den eigenen Online-Shop, das Warenanliefern, das Fakturieren, das Rechnungs- und Mahnwesen; kümmern Sie sich einfach darum, interessante Produkte aufzutreiben, legen Sie einen attraktiven Preis fest und lehnen Sie sich zurück, während andere für Sie die restliche Arbeit erledigen.
Sie meinen: Klingt zwar toll, ist aber leider völlig realitätsfremd? Falsch: Genau das bietet Fulfillment by Amazon (www.fba.amazon.de). Fulfillment ist keine Erfindung von Amazon, sondern wird schon seit vielen Jahren von etlichen Dienstleistern angeboten. Der Begriff „Fulfillment“, oder gemäß britischem Englisch „Fulfilment“, bedeutet nichts anderes als „Erfüllung“, wobei in diesem Zusammenhang gemeint ist, dass sämtliche Aktivitäten, die die Bestellung eines Kunden bei einem Onlineshop nach sich zieht, von einem externen Dienstleister übernommen werden.
Doch wie funktioniert Fulfillment denn eigentlich in der Praxis? Eigentlich relativ simpel: Alles, was ein Shopbetreiber ansonsten in Eigenregie erledigt, übernimmt nun ein Dienstleister – und zwar nicht nur die reine Distribution von Waren. Es umfasst vielmehr alle Aktivitäten Vom Bestelleingang über Kundenbetreuung, Versandabwicklung, Retourenbearbeitung und Zahlungsmanagement bis hin zu umfangreichem Reporting.
Kurzum: Bestellt ein Kunde Waren, landet der Auftrag beim Dienstleister, der sich anschließend um die Abwicklung kümmert. Gleiches gilt für Retouren, Service-Anfragen und alle weiteren erdenklichen Aufgaben – zumindest, wenn der Shopbetreiber das will, denn bei den meisten Fulfillment-Anbietern kann der kaufmännische und logistische Service wahlweise als Full- oder Teilservice genutzt werden.
Die Amazon-Variante
Seit Anfang 2008 wird Fulfillment auch von Amazon angeboten und war anfangs lediglich auf Amazon-Marketplace-Verkäufer beschränkt. Beim Marketplace können Händler auf der Seite www.amazon.de ihre Waren zum Kauf anbieten. Bestellt ein Kunde ein entsprechendes Produkt, kümmert sich Amazon um die Rechnungsstellung und Bezahlung, während die Ware direkt vom Händler an den Kunden geschickt wird. Für den Verkauf über Amazon.de berechnet Amazon eine Provision, die je nach Kategorie zwischen 7 und 45 Prozent liegt. Hinzu kommt eine Verkaufsgebühr von 0,99 Euro – Marketplace-Poweranbieter zahlen hingegen pauschal pro Monat 39 Euro Gebühren zuzüglich der Verkaufsprovision.
Ausschließlich für diese Poweranbieter steht auch das Fulfillment-Angebot, das sich hier Fulfillment by Amazon (FBA) nennt, zur Verfügung. Hierbei übernimmt Amazon nicht nur die Zahlungsabwicklung, sondern den kompletten logistischen Prozess. Der Händler sendet seinen Lagerbestand direkt an Amazon, wo die Artikel aufbewahrt und verwaltet werden. Sobald Bestellungen über die Website von Amazon.de eingehen, entnimmt Amazon das Produkt aus dem Bestand des Händlers, verpackt dieses und sendet die Ware direkt an den Kunden des Händlers. Bei Fulfillment by Amazon übernimmt der Versandriese zudem den Kundenservice und betreut Käufer im Falle von Rücksendungen an die Amazon-Logistikzentren. Wird die Ware knapp, veranlassen Sie Lieferungen direkt an das Amazon-Logistikzentrum. Sie können also über Amazon.de Waren verkaufen, ohne ein eigenes Lager zu besitzen und ohne eine einzige Rechnung jemals selbst schreiben zu müssen.
Nicht ganz billig
Dass Amazon Ihre Waren nicht aus reiner Menschenfreundlichkeit verkauft, versteht sich von selbst. Zu den Provisionen und der monatlichen Gebühr, die für Marketplace-Verkäufer ohnehin anfallen, kommen weitere Kosten hinzu. Und diese bauen sich auf einem Fixum und einer Variablen auf: Sie zahlen zunächst grundsätzlich pro Kubikmeter Lagerplatz, den Sie benötigen (ab 12,50 Euro für einen Kubikmeter pro Monat). Zusätzlich zahlen Sie für jeden verkauften Artikel eine Versandgebühr, die je nach Gewicht und Verpackungsart bei inländischen Verkäufen zwischen 1,60 Euro und 4,41 Euro liegt. Übergrößen sind dabei nicht mit eingerechnet.
Nehmen wir als Beispiel den Verkauf von zwei T-Shirts an einen Kunden. Hier liegt die Verkaufsgebühr pro Stück bei 2,14 Euro. Hinzu kommt eine umgerechnete Lagergebühr von 0,10 Euro. Fulfillment by Amazon würde Sie in diesem Fall 4,28 Euro kosten – inklusive Versand an den Kunden!
Das Wasser abgraben
Das alles klingt nach einem interessanten Angebot – vor allem für professionelle Marketplace-Verkäufer, könnte man meinen. Der Onlineshop www.budoten.com. nutzt den Amazon-Marketplace schon seit langem als zusätzlichen Vertriebskanal. Ralph P. Görlach, Managing Director bei Budoten, ist von FBA jedoch keineswegs restlos begeistert: „Durch die Nutzung von FBA besteht die akute Gefahr, dass der Händler sich selbst das Wasser abgräbt. Bereits jetzt – also ohne FBA zu nutzen – erinnert sich ein Großteil der Käufer in der Regel nicht an den Namen des Anbieters, von dem die Ware stammt, sondern einzig an Amazon, wo er die Ware bestellt hat. Dies wird ungleich stärker der Fall sein, wenn Amazon letztlich die gesamte Logistik übernimmt.“
Tatsächlich versendet Amazon die FBA-Ware in eigener Kartonage mit Amazon-Logo – ein nicht zu untersehätzender Werbewert. FBA bietet den Verkäufern aber unzweifelhaft auch einen wichtigen Vorteil: Die Ware der FBA-Händler wird zu den gleichen Bedingungen wie die, die direkt von Amazon stammt, verschickt. Das bedeutet, dass Bestellungen über 29 Euro für Kunden versandkostenfrei verschickt werden und die FBA-Ware mit „normaler“ Ware von einem Kunden kombiniert werden kann. Gerade das ist für viele Händler sehr attraktiv, da man sich so einen Wettbewerbsvorteil gegenüber vielen Marketplace-Verkäufern sichern kann. Auch Amazon-Prime-Kunden (www.amazon.de/prime*), die für 49 Euro im Jahr eine Versandkostenpauschale erworben haben, können versandkostenfrei bei den FBA-Händlern bestellen.
Allerdings muss es die Marge bei den einzelnen Produkten natürlich hergeben, dass die Zusatzkosten für FBA überhaupt verkraftet werden könnten. „Für hochpreisige Güter könnte sich Fulfillment by Amazon unter Umständen rechnen – insbesondere dann, wenn der Anbieter selbst über keine oder eine unzureichende Logistik verfügt“, meint Ralph P. Görlach. Andere Marketplace-Nutzer sind vom Service begeistert. Bruno Wirth, Geschäftsführer von Radio Wolf, ist vor allem von den Mengenmöglichkeiten begeistert: „Obwohl wir hoch automatisiert arbeiten, war bei knapp 300 Paketen pro Tag die Kapazitätsgrenze erreicht. Für Verkäufer, die bei der Versandvorbereitung noch viel manuell machen, dürfte FBA schon bei erheblich geringerem Volumen hochinteressant sein.“
Zweischneidiges Schwert
Tatsächlich bietet FBA vor allem für diejenigen Vorteile, die bereits jetzt zu einem Großteil ihre Waren über Amazon Marketplace verkaufen und an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen. Allerdings sollte man genauestens kalkulieren, ob man sich die Versandmöglichkeiten über FBA überhaupt leisten kann und will.
Dass Amazon Eigeninteressen verfolgt, liegt auf der Hand und ist auch legitim. Die Auslastung der Logistikzentren soll durch FBA und die Einbindung von Multi-Channel-Verkäufen optimiert werden. Die Ware seiner Marketplace-Kunden in eigener Kartonage zu versenden, ist sicherlich auch ein netter zusätzlicher Werbeeffekt.
Inwieweit FBA dazu genutzt werden soll, an die Lieferanten der Marketplace-Händler zu kommen und ohne Risiko neue Produktgruppen von anderen testen zu lassen, wie dies viele Händler befürchten, wird nur Amazon selbst beantworten können. Die Strategie des Unternehmens, sich vom Versandhändler zum E-Commerce-Dienstleister weiterzuentwickeln, spricht gegen diese Befürchtung.
Nur eines ist tatsächlich klar: Ihr Shopname wird dem Kunden letztlich bei FBA nicht in Erinnerung bleiben, sondern nur das omnipräsente Amazon-Logo. Andererseits dürften Sie viele Nutzer ohne FBA gar nicht erst als Kunde begrüßen können!