Am 21. April verkündete der BGH das Urteil, das die Verlagslandschaft in Deutschland in Schockstarre versetzte: Die pauschale Beteiligung von Verlagen an den Einnahmen der VG Wort ist rechtswidrig. Lang hielt die Schockstarre jedoch nicht an. Stattdessen wurde eine Lobby-Maschinerie in Gang gesetzt, die vor allem eines beweist: Ihre renommierten Tages- und Wochenzeitungen nutzen Verlage ganz ungeniert als Sprachrohre, indem sie ihre eigenen Ansichten in scheinbar objektiven, journalistischen Beiträgen verpacken. Besonders praktisch: Willfährige Autoren lassen sich auch noch vor den Karren der Verlage spannen.
Zum Hintergrund: Da klagt der wissenschaftliche Autor und Urheberrechtsexperte Martin Vogel schon seit mehreren Jahren gegen den Verteilungsplan der VG Wort und bekommt in allen Instanzen recht. Nun auch in letzter Instanz vor dem Bundesgerichtshof. Die Begründung des Gerichts ist so simpel wie einleuchtend: Die Urheberrechtsabgaben stehen den Urhebern zu. Und Urheber sind die Autoren, nicht die Verlage. In der Pressemitteilung des BGH heißt es wörtlich:
„Die Beklagte ist nicht berechtigt, einen pauschalen Betrag in Höhe von grundsätzlich der Hälfte ihrer Einnahmen an Verlage auszuschütten. Eine Verwertungsgesellschaft hat die Einnahmen aus der Wahrnehmung der ihr anvertrauten Rechte und Ansprüche ausschließlich an die Inhaber dieser Rechte und Ansprüche auszukehren.“
Nach dem bisherigen Verteilungsplan schüttet die VG Wort jedoch bei belletristischen Werken pauschal 30 Prozent an den entsprechenden Verlag aus. Bei wissenschaftlichen Werken, wie im Fall Vogel, sind es sogar 50 Prozent.
Laut BGH ist das nicht zulässig. Die Verlage fürchten nun, ihre VG Wort – Tantiemen rückwirkend bis zum Jahr 2012 zurückzahlen zu müssen. Seit diesem Jahr erfolgte die Auszahlung unter rechtlichem Vorbehalt. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten: „Die Rechtsgrundlage ist eiligst nachzuliefern“, fordert Börsenblatt-Chefredakteur Thorsten Casimir.
Eine „erschreckend kurzsichtige Entscheidung“, meint man bei der Zeit. In der FAZ und bei der Welt macht man sich gar nicht erst die Mühe, scheinbar objektiv zu berichten, sondern lässt direkt Verleger als Gastautoren zu Wort kommen. „Das zahlt niemand aus der Portokasse“, stöhnt der Verleger Jörg Sundermeier in der FAZ. Und in der Welt warnt Jo Lendle, Chef des Münchner Hanser Verlags, dass „die Bücher darunter leiden werden“.
Verlage schieben Autoren vor
Es ist schon eine bemerkenswerte Rechtsauffassung, die als Tenor in der Berichterstattung immer wieder durchkommt: So werden die Verleger als Partner der Autoren dargestellt, die aus purer Selbstlosigkeit deren Werke veröffentlichen. Und das ging nur mit den Einnahmen der VG Wort. Das andere Argument: Die Verlage hätten einen Anspruch auf Urheberschaft, weil sie einen erheblichen Beitrag zur Wertschöpfung liefern.
Als Beleg dafür lässt die Zeit die Autorin Karen Köhler ein Loblied auf ihren Verlag anstimmen. Ein bemerkenswert absurder Beitrag, in dem die Verfasserin freimütig einräumt, Martin Vogel „eben gegoogelt“ zu haben – was Aufschluss darüber gibt, dass hier jemand am Werk ist, der wirklich tief in der Materie steckt und ganz genau weiß, worum es in diesem Rechtsstreit überhaupt geht. Noch viel schlimmer als dieser Beitrag ist jedoch, dass jedoch die einseitige Berichterstattung in der deutschen Presselandschaft insgesamt. Hier kommen fast ausschließlich die Verleger zu Wort, die den Kläger beschimpfen, das Urteil kritisieren und vor dem Untergang des Abendlandes warnen dürfen. Dass es Gegenpositionen gibt, wird noch nicht einmal in einem knappen Nebensatz erwähnt. Stattdessen wird so getan, als stünden sämtliche deutsche Journalisten und Schriftsteller auf der Seite der Verlage.
Das wirklich Skandalöse an diesem Rechtsstreit ist im Übrigen nicht das Urteil, sondern die Tatsache, dass irgendjemand gedacht hat, das Gericht könnte zu einer anderen Einschätzung kommen. Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen: Bei wissenschaftlichen Werken steht dem Verlag nach deren Ansicht und dem Verteilungsplan der VG Wort also 50 Prozent der Urheberschaft zu. Sie fungieren bei jedem veröffentlichten Buch also quasi als gleichberechtigter Mitautor.
Wie darf ich mir das vorstellen? Treffen sich Verleger und Autor regelmäßig zum gemeinsamen Tippen? Oder genügen dafür Lektorat, Druck, Marketing und Vertrieb? Dass jemand tatsächlich dieser Meinung ist, ist bemerkenswert. Tatsächlich gibt es ohne Frage Fälle, in denen nur durch engagierte Verlagsmitarbeiter aus einem zusammenhangslosen Manuskript ein tolles Buch entsteht, doch will mir ernsthaft jemand erklären, dass das bei JEDEM Buch der Fall ist? In der Belletristik ist der Verteilungsschlüssel mit 70:30 für die Autoren vorteilhafter, doch auch hier dürfte das mit der Realität wenig zu tun haben.
In Wahrheit geht es nicht um das Urheberrecht
In Wahrheit wissen das natürlich auch die Verlage. Ihnen geht es auch gar nicht um das Urheberrecht. Ihnen geht es einzig und allein um die Einnahmen, die jetzt drohen wegzubrechen. Deshalb fordern sie nun die Politik an, die Rechtslage der bisherigen Verteilungspraxis anzupassen. Am 27. April gab es hierzu bereits einen entsprechenden Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und der SPD im Bundestag. Solch eine effektive Lobby-Arbeit hatte man in Deutschland bisher wohl nur der Automobilindustrie zugetraut. Druck machen die Verleger, indem sie vor unzähligen Insolvenzen und dem Untergang der deutschen Verlagskultur warnen.
Sollten sie mit ihrem Anliegen keinen Erfolg haben, drohen sie den vermeintlich raffgierigen Autoren, das sind die, die sich nicht für die Lobby-Arbeit einspannen lassen, mit Honorarkürzungen und einer Reduzierung der Veröffentlichungen. Vielleicht wäre es stattdessen einmal angebracht, mit ihnen in Dialog zu treten. Auch in der Autorenschaft ist durchaus die Meinung verbreitet, dass den Verlagen eine Kompensation für private Kopien zusteht. Nur nicht deshalb, weil sie Urheber sind, sondern weil sie das Verwertungsrecht an den Büchern innehaben. Doch ein entsprechendes Leistungsrecht gibt es bislang nicht. Und bis das geändert wird, täten Verleger gut daran, zu akzeptieren, dass Gerichte in Deutschland nach der aktuellen Gesetzeslage urteilen und sich nicht nach den wirtschaftlichen Bedürfnissen von Verlagen richten.